Die Norderstedter Wietersmieter © Ute Oswald

April 2007 Das Telefon klingelte. Es war Mittagzeit, ich wirbelte in der Küche. Manfred Ritzek, Landtagsabgeordneter und Parteikollege meldete sich zerknirscht: „Ute, ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht!“

 

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Na gut, jeder macht mal einen Fehler, dachte ich. „Ich habe eine Pressemitteilung herausgegeben, dass Norderstedt während der Landesgartenschau 2011 die Europameisterschaft im Boßeln ausrichtet!“ Da fiel mir der Löffel aus der Hand. „Was hast Du?“ „Ich dachte, wo Du doch immer diese Boßeltouren machst, könnten wir ja…“ Ich unterbrach ihn. „Wie stellst Du Dir das vor ohne Verein?“ In Gedanken sah ich meine angeheiterten Mitboßler schon auf dem Treppchen stehen. „Ja, das ist mir später auch erst eingefallen“, druckste Manfred. „Doch wie kommen wir jetzt aus der Nummer wieder raus?“ Die Betonung lag auf „wir“. „Die Pressetermine sind schon angesetzt und Du bist natürlich dabei.“ Eigentlich hatte unser Landtagsabgeordneter keine Ahnung vom Boßeln, auch meines Erachtens nie an einer meiner Veranstaltungen teilgenommen. Als PR-Gag kommt einem Politiker so eine Meldung natürlich sehr gelegen. Ich wollte ihn nicht im Regen stehen lassen und versprach, bei den Presseterminen zu erscheinen.

Kulisse war sein Garten. Die Sonne schien und wir hielten die Boßelkugeln fleißig in die Kameras. Der MdL führte kenntnisreich das Gespräch: „Wir müssen die nächsten Monate dazu nutzen, in Norderstedt Boßel-Talente zu finden, die im nächsten Jahr zur Europameisterschaft ins irische Cork fahren. Und wenn die Norderstedter dort achtbare Ergebnisse erzielten, könnte sich die Stadt Norderstedt doch gleich um die Austragung einer der kommenden Europameisterschaften bemühen. Oder zumindest die Austragung der Deutschen Meisterschaft, vielleicht zur Landesgartenschau 2011.“ (Osterausgabe NZ 2007). Ich versuchte die Euphorie etwas abzuschwächen und wies darauf hin, dass wir erst einmal einen Verein gründen müssten, um überhaupt an Turnieren teilnehmen zu können. Das wollte aber keiner so recht hören.

Der Ball oder die Kugel lag jetzt bei mir. Wie sollte es weitergehen? Mein Parteifreund war längst in Kiel und widmete sich der Landespolitik. Ich nahm also Kontakt zum Schleswig-Holsteiner Boßelverband auf, ohne überhaupt zu wissen, wie das Sport-Boßeln funktioniert und wer für Norderstedt zuständig ist. Zuständig war erst mal keiner, denn der Kreis Segeberg, zu dem Norderstedt gehört, hat keinen eigenen Unterverband. Man empfahl mir beim Unterverband Steinburg anzufragen. Reimer Diercks, Chef der Steinburger Boßler, nahm mich unter seine Fittiche und lud mich zu einer Straßenboßelmeisterschaft zum Eidersperrwerk ein. Dort fanden sich die Boßler aus dem Westküstenbereich wie Dithmarschen, Nordfriesland und Steinburg ein. Der Vorteil ist, dass sich die geraden, asphaltierten Strecken an den Deichen vorzüglich zum Straßenboßeln eignen. In Norderstedt hätten höchstens die Schleswig-Holstein-Straße (Bundesstraße) oder die viel befahrene Ulzburger Straße (Landesstraße) die entsprechende  Straßenführung. Es gab nur alternative Strecken wie vom „Holzwurm“ (Jugendtreffpunkt am Müllberg, NoMi) direkt zum Rantzauer Forst oder Wege in unserem in die Jahre gekommenen Stadtpark in Harksheide, wo man  halbwegs Meisterschaften austragen konnte. Mit meiner Freundin Angelika Kahlert (Seniorenbeirat) überprüfte ich Strecken und Wege, die auch Profis akzeptieren würden.

Die Europameisterschaft köchelte immer noch in den Medien. Ich musste rasch handeln. Die Gründung sollte in den Clubräumen von TuRa Harksheide stattfinden. Es fanden sich auch schnell angehende Mitglieder, die für entsprechende Ämter vorgeschlagen werden sollten. Doch wie sollte der neue Norderstedter Verein denn heißen? Mit Hilfe von NOA 4, der Norderstedter Zeitung (Beilage zum Hamburger Abendblatt), dem Heimatspiegel und anderer Medien startete ich einen Aufruf an die Norderstedter Bürger, einen passenden Namen vorzuschlagen. Der Preis war ein Boßel-Set für Anfänger. Später gab es einen Termin der Namensgebung mit den Journalisten in meiner Essdiele. Jeder hatte einen Stapel vor sich und las die Vorschläge vor. Am Ende machte der lange und doch einprägsame Name „Norderstedter Wietersmieter“ das Rennen. In Anlehnung an die plattdeutsche Sprache „wieder“ (weiter) und „smieder“ (Schmeißer), also „Weiterschmeißer“ passte das genau zum Boßelsport.

So stand es in den Medien:

 

Erster Boßelverein im Kreis Segeberg in Norderstedt gegründet

 

Ute Oswald ist Erste Vorsitzende der „Norderstedter Wietersmieter“

Die Norderstedterin Ute Oswald , bekannt als die „Mutter des Boßelns“, ist am Montag dem 04. Juni 2007 einstimmig als erste Vorsitzende des neuen Vereins „Norderstedter Wietersmieter“ gewählt worden. Über dreißig Interessierte waren bei der Gründung im TuRa-Vereinsheim dabei und verabschiedeten die von Versammlungsleiter Oliver Lass vorgetragene Satzung für Norderstedts ersten Boßelverein.

„Wir wollen ehrgeizig boßeln, die plattdeutsche Sprache pflegen, aber auch weiterhin gesellig mit dem Bollerwagen unterwegs sein.“ So die neue Vorsitzende noch vor der Gründung. Bei Wettkämpfen werde zwischen Frauen und Männern unterschieden, aber das Training solle gemeinschaftlich ausgetragen werden, so Oswald.

Zum Vorstand gehören weiterhin Michael Springer als 1. Stellv. Vorsitzender, Keno Kramer als 2. Stellv. Vorsitzender, Holger Böhn als Kassenwart und Angelika Larßen als Schriftführerin. Beisitzer sind Hella Gloy, Angelika Kahlert und Manfred Ritzek. Der Landtagsabgeordnete Ritzek soll für den Verein die Deutsche Boßelmeisterschaft 2011 nach Norderstedt holen.

Damit ist der Boßelverein der erste seiner Art im Kreis Segeberg und wird dem Unterverband des Kreises Steinburg zugeordnet. Dort gibt es Boßelclubs in Wilster und Brokdorf. Er ist automatisch dem VSHB (Verband Schleswig-Holsteinischer-Boßler) angeschlossen.

Auch die Namensgeberin des Vereins, Rosi Sukkar, ist Mitglied im neuen Boßelverein geworden. Oswald dankte ihr für den Einsatz, sich einen so „klingenden und aussagekräftigen Namen“, wie „Wietersmieter“ ausgedacht zu haben.

Der Mitgliedbeitrag bei den „Wietersmietern“ beträgt 24 Euro im Jahr, Jugendliche und passive Mitglieder zahlen 12 Euro. Wer jetzt Mitglied werden möchte, zahlt für 7 Monate nur 14 Euro und wendet sich an Ute Oswald unter 040-5224351.

Die Vorsitzende plant eine Teilnahme am Norderstedter Stadtfest „Spektakulum“ im August. „Ich möchte die „Wietersmieter“ bekannt machen und noch mehr Norderstedter für den Sport begeistern“, so Oswald.

Der erste offizielle Besuch als Boßelverein wird am 8. Juli in Marne stattfinden. Dort sind die Frauen der „Wietersmieter“ allerdings zum Klootschießen eingeladen. Dabei wird die Kugel geworfen und nicht über die Straße gerollt.

Am 1. Juli um 11 Uhr lädt Ute Oswald – wie bisher – auch Nicht-Mitglieder zum „Boßelvergnügen“ in den Stadtpark. Der Verbandspräsident hat bereits seine Teilnahme zugesagt. Begleitet wird er von mindestens zwei Mannschaften (ca. 14 Teilnehmer) des Kreises Steinburg, die den Norderstedtern auch den Diskus-Wurf beim Klootschießen beibringen wollen.

 

Der Verein war gegründet. Nun konnten wir offiziell an Meisterschaften teilnehmen und auch welche ausrichten. Es wurde wechselweise alle zwei Wochen sonnabends um 10 Uhr trainiert. Die Sportboßler suchten sich in den geraden Wochen die passende Strecke am Rehhagen/Hummelsbüttel aus, während die gemütlichen Boßler in den ungeraden Wochen am Holzwurm/Oadby-and-Wigston-Straße und Stadtpark die Kugel warfen.

Es war schier unmöglich in Norderstedt eine geeignete Boßelstrecke zu finden. Sogar der Verkehrsexperte Kai Hädicke-Schories wurde um Hilfe gebeten. Vergeblich. So hofften wir auf die Fertigstellung des Stadtparks in Harksheide. So richtig wollten die Verantwortlichen der Stadt nicht auf unsere Bedürfnisse eingehen. Hinzu kam, dass auch der Stadtpark für eine Weile nicht mehr betretbar war, weil die Bauarbeiten auf dem Gelände es nicht zuließen. Wir suchten also immer wieder nach neuen Möglichkeiten, eine verkehrsarme und gerade Straßenführung zu finden.

Die erste Vereinsmeisterschaft fand noch in Hamburg/Hummelsbüttel statt, doch dann wurde 2011 die Landesgartenschau, verbunden mit dem fertig gestellten Stadtpark, eröffnet. Die Wietersmieter luden zum „Schauboßeln“ auf einer kurzen geraden Strecke in der Nähe des Eingangs der Falkenbergstraße ein. Das konnte keine Profi-Strecke für uns sein. Man versprach, bei der weiteren Planung an uns zu denken. Wir hofften auf den Schleswig-Holstein-Tag, der 2012 auf dem Gelände der Landesgartenschau in Norderstedt ausgerichtet werden sollte.

Der Schleswig-Holstein-Tag 2012 war aufregend für die Wietersmieter: Erst nahmen sie an dem großen Festumzug teil und danach begleitete der NDR die Boßler bei den Straßen- und Feldkämpfen. Darüber wurde in drei Sondersendungen berichtet.

Weiter suchten wir nach einer geeigneten Strecke möglichst im Stadtpark. Der Startschuss fiel am 2. September 2012. Kathrin Oehme, unsere Stadtpräsidentin, warf die erste offizielle Kugel auf dem Stadtparkgelände. Das war uns ein kleines Fest wert mit gegrillten Würstchen und entsprechenden Getränken. Es zeigte sich doch bald, dass die ausgeguckte Strecke auch nicht geeignet war. Zu viele Fußgänger und Radfahrer waren unterwegs.

Wir waren beim NDR bekannt und so kam es, dass man mich fragte, ob wir uns vorstellen könnten mit dem Regisseur Detlef Buck den Spot „Das Beste am Norden“ zu drehen. Das Ganze war für die Weihnachtszeit geplant unter dem Motto: „Das Beste am Norden sind unsere Kugeln!“ Unser Mitglied Karl Wilhelm wurde schließlich ausgeguckt, den Spruch aufzusagen. Geboßelt wurde am Rande des Feldparks bei bestem Schmuddelwetter. Die Weihnachtskugeln liefen und dazu stießen wir an mit unseren Boßelbechern. Die regionalen Medienvertreter, inklusive NOA 4, waren vor Ort und berichteten ausführlich über den Dreh und das drumherum. Wir, die Norderstedter Wietersmieter waren jetzt Fernsehstars!

Das half uns trotzdem nicht weiter bei der Suche nach einer geeigneten Boßelstrecke. Turniere mussten weiterhin am Rehhagen/Hummelsbüttel, also Hamburg, stattfinden. Die Volksbank Norderstedt sprang als Sponsor ab, weil wir nicht auf heimischen Boden spielten.

Die Verkehrsaufsicht hatte immer ein Auge auf unsere Veranstaltungen. Wenn gesellige Boßelturen wie das „Frühjahrsboßeln“ in Norderstedt geplant waren, musste der genaue Zeitpunkt und die Streckenführung beantragt werden. Die Genehmigung dauerte zwei Wochen und kostete den Verein Gebühren.

Schwierigkeiten hatten wir auch mit der Sportförderung. Aus vielerlei Gründen weigerte sich der Landesboßelverband, dem Landessportverband beizutreten. Doch nur wer dem Landessportverband angehörte, erreichte die Förderstufe. Die Stadt Norderstedt bewilligte uns zum Glück trotzdem die Fördergelder.

Wichtig waren unsere starken Sponsoren, die Stadtwerke und Hamburg Airport. Wir bekamen finanzielle Mittel für unsere Trainingsanzüge und diverse Veranstaltungen.

Von den guten Boßlern sollten Rainer Gammelin, Ursula Gammelin,

Holger Böhn und Bernd Goldenbogen nicht unerwähnt bleiben. Sie holten für den Verein so manchen Pokal und hoben damit das sportliche Image der Norderstedter Wietersmieter.

 

2017 wurden die Wietersmieter 10 Jahre alt. Zu der Zeit boßelten wir im Stadtpark, auf dem Lehmkuhlen am Rantzauer Forst und Rehhagen. Gefeiert wurde das 10jährige Bestehen mit einem „Geburtstagsboßeln“ am 21.05.2017 auf dem Bauspielplatz „Holzwurm“. Viele Norderstedter, ob groß oder klein, feierten mit.

Der Verein hatte zu dem Zeitpunkt 25 Mitglieder zwischen 12 und 78 Jahren.

 

2019 entschieden die Mitglieder, den Verein aufzulösen.

Von den 27 Mitgliedern waren nur 8 davon aktiv, fünf davon über siebzig Jahre alt. Die weiten Fahrten zu den Turnieren strengten an, außerdem fehlte eine gewisse Mannschaftsstärke. Eigene Turniere konnten nur mit halber Kraft durchgeführt werden.

Schweren Herzens trat ich den Gang zum Notar an. Die „Norderstedter Wietersmieter“ wurden abgewickelt, waren Geschichte.

 

„So kam das Boßeln nach Harksheide!“

 

Der doppelte Weihnachtsmann
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